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Erfahrungsbericht: Wie der What-the-Hell-Effekt mein Training vereinfacht hat

    Kettlebell Bottom Up
    Silvio – Kettlebell im Pistol Grip

    Lange war ich ein Verfechter des „reinen“ Calisthenics Training. Das heißt, nur mit dem eigenen Körpergewicht zu trainieren. Alles was ich brauche für ein ausgewogenes Training ist ein wenig Platz und am besten noch eine Klimmzugstange oder etwas anderes, von dem ich hängen kann.

    Ich dachte, wenn ich ein Gewicht in die Hand nehmen würde, wäre das Betrug an meiner Methode. Heute weiß ich es besser.

    Es ist egal, in welcher Form und mit welchen Werkzeugen du trainierst, solange du sie als eben dies verstehst: Werkzeuge. Das habe ich erst so richtig begriffen als ich Max Shanks Ultimate Athleticism las.

    Wichtig ist, trotzdem Ganzkörperübungen zu benutzen. Trainiere Bewegungen, nicht Muskeln. Dafür ist die Kettlebell mit ihren fundamentalen Bewegungen wie gemacht. Deshalb habe ich mich einem kleinen Experiment unterzogen.

    Viele Kettlebell Liebhaber kennen ihn nur zu gut: den What-the-Hell Effekt. Da schwingt man ein paar Wochen lang eine Kugel vor und zurück und stemmt sie ab und zu aus dem Liegen in den Stand und wieder zurück, und schon bist du stärker in allem was du tust.

    Ich trainiere nun schon eine Weile verschiedene Körpergewichtsübungen und bin längst kein Anfänger mehr. Das Prinzip des Crossovers (mache Übung X, werde dadurch besser in Übung Y) habe ich hier auch schon mehr als deutlich erfahren. Der Pistol Squat hat meine Kraft und Mobilität in den Beinen dermaßen gesteigert, dass ich locker eine Langhantel mehrmals stemmen kann, die mehr wiegt als ich selbst (zierliche 76 kg).

    Das ist auch logisch, wenn du mal ganz unbenommen darüber nachdenkst: Übe eine Variante einer Bewegung und werde besser in anderen, ähnlichen Varianten.

    Was passierte, als ich mir die Kugel gab?

    Schauen wir uns jetzt mal den Kettlebell Swing an: eine Ganzkörperübung, die besonders die Explosivität in der Hüfte steigert, Rumpfstabilität fordert und stramme Beinbeuger und einen Knackarsch zaubert.

    Das klang für mich sehr verlockend und ich probierte folgendes aus: Verändere nichts an deinem bisherigen Training (4mal die Woche Training mit dem eigenen Körpergewicht) außer einer Kleinigkeit: 2mal pro Woche jeweils 100 Kettlebell Swings.

    Diese Mini-Workouts sahen folgendermaßen aus:

    • Warm-up mit ein paar Übungen zur Mobilisation, Goblet Squats, Military Press (5 Minuten)
    • 10 Runden: 15 Sekunden Swings, 15 Sekunden Pause (5 Minuten)

    In 15 Sekunden schaffst du 9-10 Swings. Wenn nicht, ist die Kettlebell zu schwer.

    Pro Woche also 200 Swings ingesamt, mit einem zusätzlichen Zeitaufwand von 20 Minuten.

    Was hat mir das gebracht? In den ersten 2 Wochen einen saftigen Muskelkater in Beinbeuger und Hintern. Nach 4 Wochen geschahen wunderbare Dinge.

    Alles fiel mir leichter.

    Pistols mit sauberer Form sind jetzt ein Klacks. Liegestütze laufen so flüssig wie noch nie. Mein größter Erfolg: Der Muscle-up an der Stange. Vorher habe ich nur einen Muscle-up geschafft, wenn ich noch frisch war und etwas Schwung dabei holte. Jetzt passiert es mir manchmal, dass ich statt eines Klimmzugs einen Muscle-up mache. Einfach so weil ich’s kann.

    Dann habe ich diese wundersame Übung namens Turkish Get-up (TGU) kennen gelernt. Sie soll ein wahrhaftiges Allheilmittel sein, ungeahnte Schwächen aufdecken und – da ist wieder der What-the-Hell Effekt – dich in allen anderen Übungen stärker machen.

    Klingt fair. Nachdem meine letzte Instruktion für den TGU etwas länger her war, war ich mir unsicher, welches Gewicht wohl geeignet ist für den Anfang. Swings konnte ich schon mit der 24kg Kettlebell mit guter Form durchführen (bis dato auch die erste und einzige Kettlebell, die ich besaß). Ich hielt mich für ein starkes Kerlchen, schließlich kriege ich auch Handstand Liegestütze, Dragon Flags und andere „fortgeschrittene“ Übungen gut hin.

    Den TGU mit der 24er konnte ich aber erstmal vergessen. Nach einem ersten miserablen Versuch hat es mit Ach und Krach auf der rechten Seite „geklappt“ (ich kam hoch und wieder runter ohne mich zu verletzen). Links war nicht denkbar. Also zurück zum Trockenüben mit einer Wasserflasche. Mein Ziel war zunächst, diesen recht komplexen Bewegungsablauf zu perfektionieren, bevor ich ihn nochmal unter Last versuche. Schließlich ist Kraft eine reine Nervensache.

    Den TGU mit Wasserflasche habe ich nun also in meinen morgentlichen 5-Minuten-Flow eingebaut. Dort passt der TGU klasse rein. Ich fühl mich richtig gut und gewappnet für den Tag nach ein paar Runden Aufstehen und Hinlegen. Auch während der Arbeit, zwischen dem vielen Sitzen, ist das eine hervorragende Übung (die Wasserflasche ist immer dabei).

    Nachdem ich dann mein Ego überwunden habe, habe ich mir eine 16er zugelegt und hiermit weiter meine tägliche TGU Praxis fortgesetzt.

    Was sollte nun die ganze Aufsteherei und das Hingesetze? 

    Meine Brustwirbelsäule ist um einiges mobiler geworden. Ich kann jetzt die Arme gerade über den Kopf strecken (ging vorher nicht). Meine Schultergelenke fühlen sich deutlich gesünder an. Mein Handstand ist viel sicherer und schöner geworden. Das Wundermittel hat gewirkt!

    Nochmal zusammengefasst: Täglich 1-2 TGUs auf jeder Seite (5 Minuten) und 2mal die Woche Kettlebell Swings (je 10 Minuten mit Warm-up). Das Ergebnis: Ich bin in allen Übungen stärker geworden und fühle mich rundum fitter, agiler und gesünder als zuvor.

    Möchte mir das jemand erklären?

    Vielleicht musst du es nicht erklären können. Vielleicht ist die Kettlebell auch das schwerste Placebo der Welt.

    Ich finde es sogar besser, dieses Mysterium nicht aufzuklären. Die Fitness-Welt ist voll von Pseudowissenschaft, die mit schlechten Statistiken oder Versuchen an Nagetieren im besten Fall schwache Hypothesen aufstellen kann.

    Da ist es mir lieber, etwas unter einem „What-the-Hell Effekt“ zu verbuchen. Die Essenz dieses Experiments ist nämlich genau das:

    Gib dir die Kugel und werde besser in allem was du tust.

    Bin ich deshalb der Meinung, Kettlebells sind zwingend notwendig für ein effektives Training?

    Nein.

    Die Möglichkeiten des Trainings mit dem eigenen Körpergewicht sind für 90% der Bevölkerung ausreichend, um ihre Fitness erheblich zu steigern. Du brauchst definitiv keinen müden Cent auszugeben, um top fit zu werden.

    Und dennoch: Kettlebell Training fetzt. Und wenn du Bock auf beides hast, gibt es keine Regel, die verbietet, verschiedene Methoden zu kombinieren. Das beste Training ist das, was dir Spaß macht und du auch regelmäßig durchziehst.

    Bleibe stark und beweglich.

    -Silvio

    P.S. Mein ganz besonderer Dank gilt Frank Delventhal vom Hamburg Kettlebell Club. Er hat mich in die wundersame Welt der schwarzen Kugel mit seinem fantastischen „Enter the Kettlebell“ Seminar eingeführt. In ihm habe ich nicht nur einen fähigen Lehrer sondern auch einen guten Freund gefunden.

    Wenn du mehr zur Kettlebell erfahren möchtest, findest du hier das Wichtigste zum Kettlebell Training.

    Mehr zu Silvio, seinem Training und Informationen zu effektiven Trainingsmethoden findest du hier: 

    Seite von Silvio: NEATSTRENGTH.com

    Facebook Seite von Silvio: Neat Strength

    Sebastian Müller

    Sebastian Müller

    Sebastian ist Alltagsathlet, mit der Leidenschaft für einfaches Training, minimalistische Gewohnheiten und persönliches Wachstum in allen Lebensbereichen. 2011 gründete er eines der ersten Kleingruppen Studios in Deutschland mit dem Schwerpunkt Kettlebell Training. Als ausgebildeter RKC / SFG I, RKC II und RKC Team Leader betreute er in den vergangenen Jahren über 2000 zufriedene Teilnehmer in seinen Seminaren und im Einzelcoaching. Mit seinen hochwertigen Texten erreichte er bis heute über zwei Millionen Leser. Auf vereinfachedeintraining.com teilt er sein umfangreiches Wissen rund um das Thema Training. Du findest ihn unter anderem auch auf XLinkedIn​​​​​​​ & YouTube​​​​​​​.