Ein Ereignis, dass mir den Unterschied zwischen Training für Muskelaufbau und Training für Maximalkraft eindeutig klar machte, hat sich in mein Hirn gebrannt.
Es war auf einem Einsteiger Seminar ins Kettlebell Training. Das Teilnehmerfeld war breit gefächert. Vom Schreibtischtäter der seine Rückenschmerzen loswerden und an seiner Körperhaltung arbeiten wollte bis hin zum ehemaligen Athlet im Leistungssport.
Einer dieser ehemaligen Athleten, heute Personal Trainer, sorgte für die bleibende Erinnerung.
Auf Grund einer Verletzung musste er seine Football Karriere an den Nagel hängen.
Seine Optik war überragend. Ungefähr 100kg schwer und kaum Fett am Körper.
Im Seminar ging es um die zwei Grundübungen aus dem RKC Kettlebell Training. Den Turkish Get Up (TGU) und Hardstyle Kettlebell Swing.
Beim TGU kommen wir auch darauf zu sprechen wohin die Reise bei dieser Übung gehen kann. Bei Männern ist halbes Körpergewicht in Form einer Kettlebell realistisch und bei Frauen 33 Prozent.
Da wir eine 40kg Kettlebell dabei hatten, führte ich nachdem ernsthafte Zweifel aufkamen einen TGU aus. Die 40kg waren 55% von meinem Körpergewicht.
So sieht das dann aus:
Dies war am Ende der TGU Unterweisung. Einer der Ungläubigen war der ehemalige Footballer. Direkt nachdem ich den Get Up beendete, legte er sich neben die 40kg Kettlebell um sich auch daran zu versuchen. Leider konnte er die Kugel in Rückenlage und gestreckten Arm nicht kontrollieren. Er hatte nicht einmal im Ansatz die Chance die Übung überhaupt richtig zu beginnen.
Die Show ging an den anderen Teilnehmern natürlich nicht vorbei und so bestand unsere Aufgabe im Anschluss zu erklären wie es denn sein kann, dass jemand der 30kg leichter ist trotzdem viel mehr Kraft hat.
Die Erklärung war einfach. Er trainiert für Muskelaufbau und ich trainiere für Kraft
Wo ist da der Unterschied? Wirst du nicht automatisch stärker, wenn du muskulöser wirst?
Nicht wirklich…
Es könnte auch heißen:
#1 Training für die Verbesserung der Energiebereitstellung in der Muskulatur (Hypertrophie oder Muskelaufbau Training)
und
#2 Training des Zentralen Nervensystems (Maximalkraft Training)
Wenn du dir die zwei Punkte anschaust, haben wir beide (der Footballer und ich) viel richtig gemacht.
Er ist durch sein Training muskulös geworden und ich relativ stark. Es ist wieder einmal eine Frage wo der Fokus im Training liegt. Wir erreichen beide unsere Trainingsziele.
Mir ist egal wie ich im Spiegel aussehe jedoch wichtig einen möglichst leistungsfähigen Körper zu entwickeln. Unabhängig vom Körpergewicht oder Optik.
Dem ehemaligen Footballer ist die Optik im Spiegel wichtiger und die Leistungen im Training werden dadurch automatisch zweitrangig (auch wenn das die meisten nicht wahrhaben wollen, wie der Versuch des 40kg TGU zeigt).
Ein paar Details:
Beim Training für die Muskulatur findet ein Dickenwachstum statt. Glykogen, welches für das kontrahieren der Muskulatur (zusammenziehen des Muskels) als Hauptenergiequelle notwendig ist, wird besser eingespeichert. Jedes Gramm Glykogen bindet zusätzlich zirka drei Gramm Wasser.
Beim Training für die Maximalkraft benötigt der Muskel zwar auch Engergie jedoch findet die Hauptarbeit im Zentralen Nervensystem (ZNS) statt. Es steuert wie stark der Muskel kontrahiert. Durch das Training wird die Ansteuerung effizenter.
Beides kann nicht getrennt werden. Beim Muskelaufbau kommt der Impuls zum kontrahieren auch vom ZNS und beim Maximalkraft Training wird auch Energie aus der Muskulatur herangezogen.
Der kleine aber feine Unterschied ist, dass:
- beim Training für den Muskelaufbau die Energiebereitstellung im Muskel eher aufgibt als das Zentrale Nervensystem
- beim Training für die Maximalkraft das Zentrale Nervensystem eher aufgibt als die Energiebereitstellung
Und genial wie unser Körper ist, passt er sich genau auf diese Reize an.
Bedeutet:
Beim Muskelaufbau Training wird mehr „Energie“ in den Muskeln gespeichert. Der Muskelquerschnitt wird größer.
Beim Maximalkraft Training wird das Zusammenspiel zwischen ZNS und Muskel verbessert und es werden mehr Muskelfasern rekrutiert. Der Muskel wir dichter.
In beiden Fällen sorgen die Anpassungen dafür, dass effektiver trainiert werden kann.
Wo sind die Unterschiede im Training, um diese Anpassungserscheinungen auszulösen?
Beim Training für den Muskelaufbau benötigst du mehr Volumen. Das erreichst du durch mehr Sätze und Wiederholungen oder einer längeren Zeit unter Belastung.
In der Regel werden mehr Übungen ausgeführt und die Muskeln gezielt isoliert trainiert. Die Gewichte werden so gewählt, dass in einem Bereich von 6-12 Wiederholungen trainiert werden kann. Das hat zur Folge, dass die Energiespeicher in der Muskulatur effektiv entleert werden und sich anpassen.
Die Pausenzeit zwischen den Übungen und Sätzen liegt bei 90 bis 120 Sekunden. Das ist die ungefähre Zeit die der Muskel benötigt, um neue Energie bereit zu stellen.
Kurz: Weniger Intensität mit mehr Übungen und Wiederholungen bei kürzeren Pausen.
Beim Training für die Maximalkraft benötigst du mehr Intensität. Das erreichst du durch mehr Gewicht oder schwere Übungsausführungen.
In der Regel werden weniger Übungen ausgeführt die jedoch mehrere Gelenke und größere Muskelgruppen auf einmal einbeziehen. Die Gewichte werden so gewählt, dass in einem Bereich von 1-5 Wiederholungen trainiert werden kann. Das hat zur Folge, dass das Zentrale Nervensystem den Muskel(n) nicht mehr gezielt ansteuern kann und sich anpasst.
Die Pausenzeit zwischen den Übungen und Sätzen liegt bei 120 bis 300 Sekunden (in manchen Fällen auch noch länger). Das ist die ungefähre Zeit die das ZNS benötigt, um sich zu erholen.
Kurz: Mehr Intensität mit weniger Übungen und weniger Wiederholungen bei längeren Pausen.
Hier sind die hauptsächlichen Anpassungserscheinungen und was bei welchem Training überwiegt.
- Mehr Muskelaktivierung (Maximalkraft) – mehr Muskelfasern werden aktiviert
- Schnellere Aktivierung (Maximalkraft) – Muskelfasern werden schneller angesteuert
- Bessere Koordination (Maximalkraft) – Hauptmuskel(n) (Prime Mover) wird besser von Synergisten unterstützt, Gelenke werden besser stabilisiert und Gegenspieler entspannt. Der gesamte Bewegungsapparat arbeitet effizienter zusammen.
- Dickenwachstum der Muskulatur (Muskelaufbau) – Querschnitt der Muskelfasern erhöht sich
Es ist wie immer eine Frage der Zielsetzung ob du eher für die Optik oder für eine Verbesserung Kraft trainierst.
Wichtig ist auch zu verstehen, dass beide Trainingsformate voneinander profitieren. Beim Maximalkrafttraining wirst du irgendwann an deine Grenzen kommen und Training für mehr Muskelmasse kann entscheidend dabei helfen diese Grenzen zu durchbrechen. Umgekehrt ist es das Gleiche.
Hier ist ein Artikel der dir vielleicht bei der Wahl hilft, welches Trainingsformat zu Beginn besser für dich ist. Warum Du Deine Maximalkraft verbessern solltest.
Wie sieht’s aus? Wo liegt der Fokus in deinem Training?